Umgang mit Macht - Geistlicher Missbrauch - Wirkungen und Herausforderungen
Der Andrang war groß. 50 Ordensleute und Mitglieder von geistlichen Gemeinschaften kamen am Freitag, den 14. Februar 2020 zum dritten Studientag der Serie: Umgang mit Macht und Sexualität im Gott geweihten Leben.
P. Klaus Mertes SJ war als Referent geladen. Er hat vor 10 Jahren Fälle von sexueller Gewalt und Machtmissbrauch in kirchlichen Einrichtungen in die Öffentlichkeit gebracht und seitdem kontinuierlich zu diesen Themen gearbeitet.
Geistlicher Missbrauch liegt vor, wenn eine Person mit geistlicher Autorität mit der Stimme Gottes verwechselt wird, sei es, dass die zu begleitende Person die Begleitperson mit der Stimme Gottes verwechselt oder sie sich selbst für die Stimme Gottes hält oder wenn beide die geistliche Autorität als die Stimme Gottes ansehen.
Beispiele machten deutlich, dass es im Alltag gar nicht leicht ist zu unterscheiden, wo geistlicher Missbrauch beginnt, denn nicht nur Worte geben Hinweise, sondern auch die Art und Weise wie die Beziehung gestaltet, wie gesprochen oder welche Atmosphäre verbreitet wird, ob Freiheit zur Selbstbestimmung gegeben wird oder nicht.
Es gilt achtsam zu sein für Gefahrenquellen für Missbrauch von Macht, von geistlicher Macht. Asymmetrien in Beziehungen bleiben bestehen, beispielsweise in Begleitungs- und Ausbildungsverhältnissen, auch wenn sie noch so egalitär gestaltet werden. Es gilt, sich immer wieder nach dem Umgang mit Macht auf beiden Seiten der Beziehung zu fragen und sich mögliche Risiken von Missbrauch bewusst zu machen. Denn Missbrauch von Macht, vor allem auch geistlicher Macht, können verheerende Langzeitwirkungen haben.
Theologische Fragen und geistliche Herausforderungen
Im zweiten Teil hob P. Klaus Mertes SJ theologische und geistliche Herausforderungen ins Wort. Geistlicher Missbrauch erhebt die Gottesfrage. Persönliche Erfahrung von geistlichem Missbrauch gibt dem „jetzt“ in der Seele auch einen theologischen Ort, von dem aus die Frage nach Gott betrachtet wird.
Verschiedene Perspektiven haben verschiedene Reden von Gott. So ist die Rede anders aus der Täter- als aus der Perspektive des „Opfers“. Opfer stellen Fragen an eine bisherige Rede, mit der sie missbraucht wurden, sie können fundamental infrage stellen. Bei einer Rede von Gott geht es immer um die Wahrheit und nicht um Durchsetzung der Wahrheit. Zu bedenken bleibt, dass zum Weg jedweder Gottsuche sowohl Erkenntnis als auch Verwirrung gehören.
Auf dem Hintergrund der Erfahrungen von Missbrauch sind Theologie und Spiritualität herausgefordert, der Kritik der Erfahrungen von Betroffenen standzuhalten, so im theologischen Verstehen von Macht und Ohnmacht und ihrer beider Korrumpierbarkeit; von Gehorsam im Umgang mit Macht; von Unterwerfung unter den Willen Gottes; von Opfer und Bereitschaft zu Opfer.
Achtsamer Umgang im Gebrauch der Sprache und weiterführende Reflektionen sind notwendig aus der sogenannten „Opferperspektive“ auch bei Fragen von:
Vergebung
Hat ein Opfer dann zu vergeben, wenn der Täter bereut? Hängt Vergebung vom Täter ab? Vergibt Gott an den Opfern vorbei? Eine Rede zum Thema Vergebung darf die Not der Betroffenen nicht verstärken.
Opfer
Opfert sich Jesus für die Menschen? Wer verlangt das Opfer? Will Gott, dass Jesus geopfert wird?
Gewaltgeschehen der Betroffenen, z.B. als „Opfer“ von sexueller Gewalt kann nicht mit Jesu Leidopfer Jesus verglichen werden, da Jesus bewusst in das Leidopfer von Gewalt als Konsequenz seiner Botschaft, der Verkündigung der Liebe Gottes eingewilligt hat.
Liebe
Was bedeutet Liebe, wenn Gott seinen Sohn für die Menschheit opfert?
Familie
Als Ort von Schutz und Geborgenheit werden in der religiösen Sprache viele Zuschreibungen aus dem Bereich der Familie genommen. Ein kritischer Rückblick auf die Erfahrungen von Betroffenen mit Familie kann hier zu einem differenzierteren Verständnis und Sprachgebrauch führen.
Nähe
Gott sucht Nähe. Gott will uns nahe sein. Inkarnation ist die Sprache Gottes. Wie reden wir mit Betroffenen und ihrer Erfahrung mit Nähe, die missbraucht wurden? Wie gehen wir mit Betroffenen um, die auf Abstand gehalten werden? Ein achtsamer Umgang mit Nähe und Distanz verändert auch die Rede von Gott.
Feindesliebe
Feindesliebe bedeutet zunächst einmal, nicht Rache zu üben, den eigenen Hass weiter zu geben.
Barmherzigkeit/Versöhnung
Bei allem Reden mit Betroffenen, bei jeder Begegnung: immer ist die Perspektive von Versöhnung wichtig.
Was können wir praktisch tun?
Neben theologischen und geistlichen Herausforderungen ging es zum Schluss auch um praktische Hilfen im Umgang mit Missbrauch. Genannt wurden funktionierende Beschwerdestrukturen in Gemeinschaften, Möglichkeiten der Verteilung von Macht.
Am Ende wurde deutlich, das Einbeziehen der Opferperspektive in der Gestaltung von Beziehungen, in der Wahl von Wort und Bild, in geistlichen Entscheidungsfindungsprozessen, in unserer Rede von Gott und unserem geistlichen Tun erhöht die Achtsamkeit und bringt Bewusstheit, die neues Leben ermöglicht für uns selbst, unsere Gemeinschaften, für Kirche und Gesellschaft.
Sr. Agnes Lanfermann MMS